Sterbephasen nach Kübler-Ross – der Sterbeprozess psychologisch betrachtet

Text in Deutscher Gebärdensprache:


Mit Klick auf das Video erklären Sie sich mit einer Verbindung zur Plattform YouTube und einer entsprechenden Datenerhebung einverstanden.

Jedes einzelne Leben endet mit dem Tod. Das ist sicher, doch was genau beim Sterben passiert ist selbst Fachleuten nicht im Einzelnen bekannt. Es gibt verschiedene Annäherungen an das Thema.  So hat sich beispielsweise die Schweizer Psychologin Elisabeth Kübler-Ross bereits in den 70er Jahren Sterbenden zugewandt. Ihr Buch erschien bereits 1971 in Deutschland und gilt als eines der Standartwerke der Sterbeforschung. 

Interviews mit Sterbenden

Kübler-Ross zeigt in ihrem Buch “Interviews mit Sterbenden”, was Sterbende beschäftigt. Sie beschreibt, was Sterbende bewegt und verdeutlicht, wie wichtig es ist, mit ihnen im Kontakt zu bleiben. Sie skizziert fünf Stadien der psychischen Reaktion, die Sterbende durchlaufen. Wir möchten in diesem Blogbeitrag die wichtigsten Erkenntnisse ihrer Forschung teilen.

Sterben ist individuell

Sterben bezeichnet die Übergangsphase zwischen Leben und Tod.  Sterben ist ein Prozess, an dessen Ende der Tod steht.[1]

Mensch sind individuell und sterben daher auch sehr unterschiedlich. Die von Kübler-Ross beschriebenen Phasen sind eine Orientierung. Sie treten nicht immer in der beschriebenen Reihenfolge auf. Es können einzelne Phasen ausgelassen und/oder die eine oder andere Phase mitunter sogar mehrfach durchlebt werden. 

Die im Nachfolgenden beschriebenen Phasen werden nicht nur von den Sterbenden durchlebt, sie können auch bei Angehörigen beobachten werden.

1. Phase: Nicht-Wahrhaben-Wollen/Verleugnen

Die Phase des “Nicht-Wahrhaben-Wollen“ beschreibt den Schock, mit dem viele Patient:innen auf die Nachricht des bevorstehenden Todes reagieren. Sie möchten dies am liebsten verdrängen und nicht wahrhaben. Sie äußern vielleicht Sätze, wie: „Ich bin doch gesund“, „Ich werde noch 100 Jahre alt“, „Die Proben müssen im Labor vertauscht worden sein.“[2]

Wir alle halten uns oftmals für unsterblich. Es ist schwer anzuerkennen, dass dies nicht der Fall ist. Je nachdem, wie die Nachricht überbracht wurde und wie viel Zeit der:die Patient:in hat, das Unvermeidliche anzunehmen, wird das Nicht-Wahrhaben-Wollen langsam aufgegeben.[3]

“Der Mensch ist ein soziales Wesen”[4]. Er ist in seinem Leben auf die Gemeinschaft angewiesen. Er braucht andere Menschen, die für ihn das sind. Als Angehörige können Sie unterstützen, indem Sie empathisch reagieren und Verständnis zeigen. Ihre Unterstützung kann helfen, die Situation (besser) anzunehmen. Unterstützen heißt jedoch nicht, die Diagnose zu verdrängen und zu versprechen, “dass alles wieder gut wird”.

2. Phase: Wut/ Aggressivität

Wenn das erste Stadium des Nicht-Wahrhaben-Wollens nicht mehr aufrechterhalten werden kann, können Gefühle wie Wut, Ärger, Verbitterung aber auch Neid folgen. Es ist natürlich, dass Menschen, die eine ungünstige Krankheitsprognose mitgeteilt bekommen, nicht begeistert reagieren. Es fallen vielleicht Sätze, wie: “Warum ich? Warum kann es nicht jemand anderes sein?”

Wut und Ärger sind wichtige Gefühle, um diese schlechte Nachricht zu verarbeiten. Beides sind starke Emotionen, die oft entstehen, wenn eigene Werte und Grenzen verletzt werden oder eigene Ziele unerreichbar scheinen.[5] Die Patient:innen können gereizt und aggressiv reagieren. Sehr häufig machen sie Vorwürfe. Diese können sich sowohl gegen die behandelnden Ärzt:innen und Pflegekräfte, aber auch gegen die eigenen Angehörigen richten. Nichts kann ihnen recht gemacht werden.[6]

Insbesondere für Angehörige ist diese Phase schwer auszuhalten. Die Wut der Patient:in kann sich in alle Richtungen verlagern und auf jeden in der Umgebung projiziert werden. Der:Die Patient:in ist vielleicht wütend auf Sie als Angehörige, obwohl es dafür keinen ersichtlichen Grund gib. Es fällt schwer, sich in die Lage der betroffenen Person zu versetzen. Der:Die Patient:in ist verzweifelt. Für ihn:sie ist es schwer: Pläne, die man hatte, können nicht mehr umgesetzt werden. Wünsche und Träume, die man sich erfüllen wollte, können vielleicht nie mehr erfüllt werden. Das ist schwer auszuhalten. Versuchen Sie, Verständnis zu zeigen und das Verhalten nicht als persönlichen Angriff zu sehen. Um das Verständnis zu fördern, ist es hilfreich, wahrheitsgemäß aufzuklären und den:die Patient:in nicht anzulügen.[7] Vielleicht ist es hilfreich, eine:n Seelsorger:in hinzuzuziehen.

3. Phase: Verhandeln

Die dritte Phase ist nach Kübler-Ross kurz und flüchtig. Wenn es Patienten:innen in der ersten Phase nicht gelungen ist, die Tatsachen anzunehmen und sie in der zweiten Phase wütend auf ihre Mitmenschen und Gott waren, versuchen sie es nun vielleicht mit Verhandeln. Häufig lässt sich beobachten, dass sich Patient:innen vermehrt einer Religion zuwenden oder sich überhaupt erstmalig mit Religion auseinandersetzen.  Sie verhandeln mit Gott oder auch mit den Ärzt:innen.[8] Es werden Abmachungen, wie: „Ich gehe jetzt jeden Sonntag in die Kirche, dann wird mich der liebe Gott heilen”[9] getroffen. Diese Abmachungen bleiben meist geheim oder werden nur zwischen den Zeilen geäußert. Oft sind sie mit Schuldgefühlen verbunden.

Als Angehörige:r können Sie unterstützen, indem Sie diese Äußerungen nicht ignorieren, sondern offen darüber gebärden. Sind die Hoffnungen unrealistisch, unterstützen Sie, indem Sie die Patient:innen über ihre Situation aufklären. Ist dies nicht der Fall, sollte man besser nicht eingreifen, da diese Phase nur sehr kurz ist.[10]

4. Phase:  Depression

Kann die Krankheit nicht mehr geleugnet werden, kann der:die Patient:in nicht mehr darüber hinweggehen. Sie trauern angesichts der ungünstigen Diagnose. Beklagen sich über verpasste Chancen. Sie sind bekümmert, bestimmte Dinge nicht gemacht zu haben oder nicht mehr machen zu können.[11] Mitunter weinen die Patient:innen viel und verweigern Gespräche. Die Phase der Depression ist wichtig, um den Tod zu akzeptieren. Vielleicht möchten die Patient:innen, auch gegen den Rat der Ärzt:innen, die Behandlung abbrechen oder das Krankenhaus sofort verlassen und äußern Dinge, wie „Das hat doch alles keinen Sinn“[12].

Signalisieren Sie als Angehörige:r Gesprächsbereitschaft, auch wenn diese erstmal abgelehnt wird. Es kann hilfreich sein, sich selbst Unterstützung z.B. in Form von Beratung oder Seelsorge zu holen, um gut begleiten zu können. Psycholog:innen, Sozialarbeiter:innen und Seelsorger:innen können eine wichtige Stütze sein.

5. Phase: Akzeptanz

Wurde die Erkrankung und der bevorstehende Tod akzeptiert, ziehen sich Patient:innen gern zurück und möchten ihre Ruhe haben.          Viele Patient:innen versterben in diesem Stadium. Sie kommen vielleicht zu der Erkenntnis: „Ich habe ein gutes Leben gehabt“. Die Stimmung ist gelöst. Die Atmosphäre friedlich. Auch bei komatösen Patienten ist eine Entspannung spürbar.[13]

Als Angehöriger ist es hilfreich, den Rückzug nicht persönlich zu nehmen. Sie können sich Unterstützung suchen und/ oder mit anderen Menschen über Ihre Situation gebärden. Der Verlust eines geliebten und nahestehenden Menschen ist schmerzhaft. Ein Gespräch kann helfen.

Quellen

Albrecht, Elisabeth; Roller, Susanne. Terminalphase und Tod (2010).  In: C. Bausewein (Hrsg.): Leitfaden Palliative Care. Elsevier, Urban & Fischer, München. S. 521 – 543

Bausewein, Claudia (2000): Leitfaden Palliative Care. Elsevier,.Urban & Fischer. München

Eggebrecht, H. Wut (2022) [online: https://www.selfapy.com/magazin/wissen/wut gesehen: 26.10.23]

Kübler-Ross, Elisabeth (1971). Interviews mit Sterbenden. Kreuz Verlag. Stuttgart

Vilmar, K.; Bachmann, K.-D. (1993). Der endgültige Ausfall der gesamten Hirnfunktion (“Hirntod”) als sicheres Todeszeichen. Stellungnahme des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesärztekammer. In: Deutsches Ärzteblatt -Ärztliche Mitteilungen. 44, S. 2933-2935 [online: https://www.bundesaerztekammer.de/fileadmin/user_upload/_old-files/downloads/Ausfall_Hirnfunktion_DAeB_1993-90-44_A2933-35.pdf gesehen: 26.10.23]


[1] Vilmar, K.; Bachmann, K.-D. (1993). Der endgültige Ausfall der gesamten Hirnfunktion (“Hirntod”) als sicheres Todeszeichen. Stellungnahme des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesärztekammer. In: Deutsches Ärzteblatt -Ärztliche Mitteilungen. 44, S. 2933-2935 [online: https://www.bundesaerztekammer.de/fileadmin/user_upload/_old-files/downloads/Ausfall_Hirnfunktion_DAeB_1993-90-44_A2933-35.pdf gesehen: 26.10.23]

[2] Albrecht, Elisabeth; Roller, Susanne. Terminalphase und Tod (2010).  In: C. Bausewein (Hrsg.): Leitfaden Palliative Care. Elsevier, Urban & Fischer, München. S. 522

[3] Kübler-Ross, Elisabeth (1971). Interviews mit Sterbenden. Kreuz Verlag, Stuttgart. S. 69

[4] Adler, Alfred

[5] Eggebrecht, H. Wut (2022) online: https://www.selfapy.com/magazin/wissen/wut [gesehen: 26.10.23]

[6] Kübler-Ross, Elisabeth (1971). Interviews mit Sterbenden. Kreuz Verlag, Stuttgart. S. 86

[7] Albrecht, Elisabeth; Roller, Susanne. Terminalphase und Tod (2010).  In: C. Bausewein (Hrsg.): Leitfaden Palliative Care. Elsevier, Urban & Fischer, München. S. 522

[8] Kübler-Ross, Elisabeth (1971). Interviews mit Sterbenden. Kreuz Verlag, Stuttgart. S. 113 ff.

[9] Albrecht, Elisabeth; Roller, Susanne. Terminalphase und Tod (2010).  In: C. Bausewein (Hrsg.): Leitfaden Palliative Care. Elsevier, Urban & Fischer, München. S. 522

[10] Kübler-Ross, Elisabeth (1971). Interviews mit Sterbenden. Kreuz Verlag, Stuttgart. S. 115

[11] Kübler-Ross, Elisabeth (1971). Interviews mit Sterbenden. Kreuz Verlag, Stuttgart. S. 116 ff.

[12] Albrecht, Elisabeth; Roller, Susanne. Terminalphase und Tod (2010).  In: C. Bausewein (Hrsg.): Leitfaden Palliative Care. Elsevier, Urban & Fischer, München. S. 522

[13] Kübler-Ross, Elisabeth (1971). Interviews mit Sterbenden. Kreuz Verlag, Stuttgart. S. 139 f.